Am Morgen ein Blick zurück in das vom Schlaf modellierte Bett und wir spüren unseren Nachtaktivitäten nach. Das Bettzeug aufzuschütteln und zu straffen versetzt die Verformung in ihren Urzustand zurück, damit wir am Abend erneut Körper und Seele unbelastet in die willige Materie hineinplumpsen lassen können – der Kreislauf der Veränderung beginnt aufs Neue. Der US-amerikanische Künstler Gary Kuehn, Jahrgang 1939 aus New Jersey, ist schon ein Klassiker; ihm gelingt es eben diese ureigensten Empfindungen in seinen Arbeiten zu erwecken. Einfache Objekte und Materialien in Minimal Art verändert und verformt er – Prozesskunst durch Druck und Kraft. Assoziationen, die uns sehr vertraut sein können, werden aktiviert. Ein angemessen fester Händedruck vermittelt Akzeptanz – ein schlaffer Händedruck wirkt eher unangenehm und desinteressiert. Mit diesen grundlegenden Emotionen jongliert Kuehn recht vergnüglich. Im großen historischen Saal des Palazzo delle Ragione, Piazza Vecchia in Bergamo verteilen sich 16 Werkstücke im Raum.
Hier wurde gedrückt, eingezwängt, geschnürt, verbogen, geschraubt, zusammengesackt – alles Werke aus den Jahren 1964-69. Der gelernte Eisenarbeiter und Metallbauer, der 1964 sein Kunststudium abschloss, überzeugt mit einem feinen Proportionsgefühl. Nie geraten seine Formen aus dem Gleichgewicht. Sie sind was sie sind – z. B. Stahl und Stroh, aber auch ein Ausdruck von Disziplin und Beschränkung, ohne allzu sehr expressiv oder aggressiv zu werden, sie sprechen eher von einem introvertierten Seelenzustand. Es wird nachgegeben – freiwillig oder unfreiwillig. Man muss kein passionierter Heimwerker sein, um Freude an diesen durchformten Exponaten zu haben, aber man sollte das Material schon wahrnehmen, wenn man die Objekte kennen lernen möchte.
Die Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea bietet die Möglichkeit, Kuehns umfassendes Werk eingehend zu studieren. Zu sehen sind dort aktuellere Objekte bis in das Jahr 2013, sowie Zeichnungen und Papierarbeiten. Er lässt seine Materialien und Formen so eindringlich miteinander kommunizieren, dass sie zu vollständigen Geschichten anregen. Kuehns Kunst scheint gut in die gegenwärtige Zeit zu passen – Bedrängnis oder aktive Einflussnahme sind immer aktuell.
Nach einer großen Ausstellung 2014 in Liechtenstein nun diese Präsentation in Bergamo.
8.6.-26.8.2018
Palazzo della Ragione in der Oberstadt von Bergamo – Frei zugänglich
GAMeC Unterstadt, Normaleintritt 12 Euro